Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Thüringen e. V.

Wie fühlt sich intermodaler Verkehr an? Rundum positiv und entspannt

Wir haben uns mit Radverkehrsprofessor Dr. Christian Rudolph über intermodalen Verkehr unterhalten und gefragt, wie sich das anfühlen würde: rundum positiv und entspannt, so seine Antwort. Nebenbei sei der Radverkehr auch gut für die Wirtschaft.

Prof. Dr. Christian Rudolph von der TH Wildau bei Berlin
Prof. Dr. Christian Rudolph von der TH Wildau bei Berlin © Andreas Lörcher

Christian Rudolph leitet die vom Bundesverkehrsministerium finanzierte Stiftungsprofessur „Radverkehr in intermodalen Verkehrsnetzen“ an der Technischen Hochschule Wildau in Brandenburg. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was es braucht, damit Radfahrer:innen im Alltag reibungslos von einem Verkehrsmittel auf das andere umsteigen können und welches Lebensgefühl sich mit dieser Art der Mobilität einstellen könnte. 


Wie sieht in Deutschland die Lage für Menschen aus, die intermodal unterwegs sein wollen – die also für eine Strecke mehrere unterschiedliche Verkehrsmittel nutzen möchten?
An meinem Lehrstuhl „Radverkehr in intermodalen Verkehrsnetzen“ befassen wir uns unter anderem mit der Frage, wie die Nutzung des Fahrrads im Zusammenspiel mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gestärkt werden kann. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man diese Verkehrsmittel intermodal nutzen kann. Einmal, indem ich mein Fahrrad am Bahnhof oder an einer Haltestelle abstelle und dann mit Bus und Bahn weiterfahre. Oder auch, indem ich das Fahrrad mitnehme und am Zielort damit weiterfahre. Eine andere Möglichkeit ist, am Zielort ein Bike-Sharing-System zu nutzen oder einfach zu Fuß zu gehen.
Die Lage für Radfahrende ist diesbezüglich in Deutschland standortabhängig sehr unterschiedlich. In den Großstädten gibt es mittlerweile meist sogar verschiedene Bike-Sharing-Angebote. Auf dem Land eher nicht. Wenn wir über das Abstellen am Bahnhof sprechen, ist es zum Beispiel in Berlin immer noch viel zu oft so, dass die vorhandenen Abstellanlagen überfüllt sind. Die Fahrräder werden dann an irgendwelchen Pfosten oder Baustellenschildern angekettet. So soll es natürlich nicht sein. Dazu kommt, dass die Abstellanlagen selbst oft noch nicht auf der Höhe der Zeit sind – entweder es handelt sich um die berühmt berüchtigten Felgenkiller oder die Anlage befindet sich irgendwo im hintersten, dunklen Winkel der Bahnhöfe. Was das Fahrradparken an Bahnhöfen angeht, besteht noch ein Riesenbedarf an sicheren Abstellmöglichkeiten. Wie groß der Bedarf genau ist, ermitteln wir gerade in unserem Projekt BikeTransit, das durch den Nationalen Radverkehrsplan des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr ermöglicht wird.


Zu den fehlenden Fahrrad-Sharing-Systemen im ländlichen Raum: Machen diese dort aufgrund der weiteren Strecken und geringeren Nachfrage überhaupt Sinn?
Jede Fahrt, die mit einem E-Bike, einem Scooter, einem normalen Fahrrad oder einem Elektroauto statt eines Verbrenner-Pkws durchgeführt wird, ist ökologisch und volkswirtschaftlich sinnvoll. Das Problem ist, dass sich Fahrrad-Sharing-Systeme auf dem Land tatsächlich für private Anbieter nicht rechnen. Man könnte sie aber in den öffentlichen Verkehr noch besser integrieren – auch tariflich. Perspektivisch gewinnen die Verkehrsbetriebe auf diese Art mehr Radfahrer:innen und damit auch mehr Kunden, was sich positiv auf die Ticketverkäufe für den ÖPNV auswirken kann. Für einige Kommunen könnte sich das aus meiner Sicht langfristig rentieren.


Was sind die wichtigsten Projekte, die angegangen werden müssten, damit sich die Situation für den intermodalen Verkehr verbessert?
Wirklich zentral ist: Die Menschen müssen sicher mit dem Fahrrad zum Bahnhof kommen können. Die Fahrradwege vom Wohnort zum Bahnhof und das Fahrradnetz insgesamt müssen gut ausgebaut sein, so dass die Menschen sich beim Fahren zum oder vom Bahnhof weg sicher fühlen. Das ist derzeit nicht gegeben. Oft gibt es gar keine Radwege oder sie sind veraltet. Radschnellwege können zusätzlich eine interessante Option für längere Distanzen darstellen.
Zudem braucht es gute Abstellanlagen an allen Bahnhöfen, überdacht, hell und freundlich, mit guten Sichtachsen damit sich jeder sicher fühlt. Die Vermeidung von Angsträumen ist hier oberstes Gebot. Zum sicheren Abschließen der Räder eignen sich die sogenannten Kreuzberger Bügel, aber auch Doppelstockparker kommen immer häufiger zum Einsatz, wenn eine große Menge an Abstellplätzen auf engem Raum bereitgestellt werden soll. Es muss zudem ausreichend viel Platz für Lastenräder und Räder mit Kinderanhängern und Kindersitzen vorgesehen werden. In Utrecht haben wir ein Fahrradparkhaus besichtigt, in dem kostenlos Kinderbuggies und Einkaufstrollies bereitgestellt werden. Smarte Lösungen, die den Alltag gerade für Eltern mit Kindern sehr viel einfacher machen und den Umstieg auf das Fahrrad als Alltagsfahrzeug deutlich erleichtern.
Barrierefreiheit ist der nächste Punkt: funktionierende Aufzüge an Bahnhöfen, die auch groß genug sind für Fahrräder. Für eine reibungslose Reisekette sind darüber hinaus gute Reiseinformationssysteme notwendig. Radfahrer:innen müssen wissen, wo das Fahrradabteil am Gleis halten wird, ob ich noch einen Platz im Fahrradabteil bekomme, ob ich das Fahrrad überhaupt mitnehmen darf und so weiter.

Öffentliche Leihräder in Utrecht
Öffentliche Leihräder in Utrecht © Christian Rudolph

Wie sieht es mit der Fahrradmitnahme in Zügen aus?
In Deutschland ist die Fahrradmitnahme in den meisten Zügen erlaubt, teilweise nur mit Reservierung, teilweise kostenpflichtig, teilweise nur außerhalb der Hauptverkehrszeiten. Sind die Züge an Wochentagen überfüllt, entstehen hier schnell Konflikte zwischen den Reisenden mit und ohne Fahrrad. Auch an langen Wochenenden im Frühling und Sommer entsteht oft in Regionalzügen auf touristischen Strecken Chaos, wenn die Fahrradabteile überfüllt sind. Hier ist intelligentes Zugdesign gefragt! Allerdings sind hierfür die Ausschreibungs- und Zulassungszyklen sehr lang. Interessant ist, dass in den Niederlanden der Radverkehrsanteil so hoch ist, dass Fahrräder in Zügen zum Großteil überhaupt nicht mitgenommen werden dürfen. Es gäbe sonst schlichtweg zu wenig Platz für die Menschen und das Sicherheitsrisiko wäre zu hoch. Trotzdem beginnt und endet jede zweite Zugfahrt in den Niederlanden mit einem Fahrrad, weil das Fahrradnetz und die Abstellanlagen so gut ausgebaut sind.  

Wie kann man in Deutschland politische Entscheider:innen überzeugen, in intermodale Verkehrswege zu investieren?
Das Ziel der Sache ist ja, mehr Menschen zur Nutzung des Umweltverbunds zu bewegen – also des ÖPNVs, des Fahrrads oder des Zufußgehens. Damit ist nicht nur der Umwelt geholfen, sondern auch der Wirtschaft. Eine höhere Nutzung des Umweltverbunds bedeutet weniger Autos auf den Straßen und damit mehr Platz für den Wirtschaftsverkehr, für Busse, Säuberungsdienste, Rettungsfahrzeuge, die Polizei und für die Menschen, die wirklich aufs Auto angewiesen sind. Die Staus in unseren Städten verursachen große volkswirtschaftliche Verluste – sowohl für die wirtschaftlich agierenden Unternehmen, die im Stau stehen, als auch für Personen, die nicht arbeiten können, weil sie auf dem Arbeitsweg im Verkehr feststecken. Auch die geringere Schadstoff- und CO2-Belastung und der geringere Flächen- und Ressourcenverbrauch des Umweltverbunds wirken sich positiv auf die Volkswirtschaft aus. Eine Studie aus Schweden und den USA hat gezeigt, dass jeder gefahrene Kilometer mit dem Auto der Volkswirtschaft Kosten aufbürdet und jeder Kilometer, der mit dem Fahrrad zurückgelegt wird, der Gesellschaft ein paar Cent zurückgibt. Es sollte politischen Entscheidern also ein ökonomischer Ansporn sein, in die Fahrradinfrastruktur und den intermodalen Verkehr zu investieren.

 
Wie würde sich die Mobilität für Menschen in Deutschland anfühlen, wenn die Radverkehrswege und der intermodale Verkehr gut ausgebaut wären und alle Schnittstellen reibungslos funktionieren würden?
Rundum positiv und entspannt. Also das genaue Gegenteil von dem, wie sich aktuell das Teilnehmen am Straßenverkehr oder auch am öffentlichen Verkehr anfühlt. Ich brauche mich, um mir das vorzustellen, nur gedanklich nach Utrecht oder Amsterdam zu versetzen, wo die Radwege so breit sind, dass man auch bequem nebeneinander fahren kann. Dadurch wird das Fahrradfahren ein sozialer Akt. Wird in Deutschland der Verkehr wie beschrieben ausgebaut, werden Schüler:innen auf dem Weg zur Schule auf dem Rad mit ihren Freund:innen plaudern, sie empfinden den Schulweg als Bereicherung, nicht als Bürde. Pendler:innen können nach einer sicheren und zügigen Fahrt auf einem Radschnellweg ihre Fahrräder am Bahnhof unkompliziert und sicher abstellen. Sie kommen durch eine gute Taktung des öffentlichen Verkehrs mit geringer Wartezeit an ihren Zielbahnhof. Dort steigen sie auf schicke, vom ÖPNV-Abo abgedeckte Leih-Räder und erreichen auf gut ausgebauten Radwegen ohne Stau und Hektik ihren Arbeitsort. Eine solche Mobilität fühlt sich – egal ob auf dem Rad oder in Bus und Bahn – einfach gut an. Und sie macht Freude.

Wir danken für das Gespräch!


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