Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Thüringen e. V.

Öffnung von Einbahnstraßen

Die Freigabe von Einbahnstraßen für den Radverkehr gehört zum Standardrepertoire preiswerter Radverkehrsförderung. Wie ist die Rechtslage, und welchen Einfluss hat eine Öffnung auf das Verkehrsgeschehen?

Die Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung ist in Bereichen mit Tempo 30 eine kurzfristig umsetzbare und vergleichsweise günstige Maßnahme, um Verbindungslücken für den Radverkehr zu schließen und Umwege zu vermeiden. Mit der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) 2021 ist sie von einer Kann- zu einer Soll-Regelung und damit zum Regelfall geworden. Wo noch nicht geschehen, soll diese Regelung entsprechend StVO umgesetzt werden.

Einbahnstraßen bedeuten eine Einschränkung der Straßenbenutzung für Radfahrende

Ist die Einschränkung zulässig?

Mit der Anordnung einer Einbahnstraße wird auch dem Radverkehr eine Verkehrsbeschränkung der Straßennutzung im Gegenverkehr auferlegt. Wer wann den Verkehr einschränken kann, regelt § 45 StVO. Die in den Absätzen 1 bis 8 genannten Einschränkungen sind nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig:

§ 45 Abs. 9 StVO „Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist…. Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.“

Um den Radverkehr in Gegenrichtung zulässiger Weise zu verbieten, muss folglich eine Gefahrenlage vorliegen, die größer ist als das übliche Radfahren im Verkehr.

Gefahrenlage in Einbahnstraßen

Die Möglichkeit der Öffnung von Einbahnstraßen wurde 1997 testweise und befristet bis Ende 2000 in der StVO eröffnet. Begleitet wurde die Regelung von einem Forschungsprogramm an der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Zusammengefasst kam dieses zu dem Ergebnis:

"Eine Öffnung der Einbahnstraßen nach den Bestimmungen der StVO lässt weder in Bezug auf die Zahl der Unfälle noch die Unfallschwere negative Auswirkungen erkennen. Tendenziell lassen die Ergebnisse unter Heranziehung anderer Untersuchungen sogar einen Sicherheitsgewinn erwarten. Verbleibende Verkehrssicherheitsdefizite konzentrieren sich auf die Knotenpunkte" (Quelle: BASt 2002).

Eine umfassende Darstellung der Untersuchungsergebnisse findet sich in einem Artikel der Zeitschrift Straßenverkehrstechnik, 6/2002 StVT. Weitergehende Untersuchungen auch mit Bezug auf Fahrradstraßen wurden 2015 durch die "Unfallforschung für Versicherer" durchgeführt und 2016 veröffentlicht (UDV 2016, Langfassung: UDV-L 2016). Grundlage hierfür war eine Befragung von Kommunen mit insgesamt 2.373 geöffneten Einbahnstraßen. Lediglich 1% der Einbahnstraßen wurden im Hinblick auf die Verkehrssicherheit als problematisch eingeschätzt. In diesem 1% der geöffneten Einbahnstraßen ereignete sich nur jeder dritte Radunfall im Gegenverkehr. Die Ergebnisse der Untersuchung der BAST von 2002 wurden somit bestätigt und bestärkt:

"Geöffnete Einbahnstraßen sind also grundsätzlich sehr sicher. Bei der Freigabe des Radfahrens in Gegenrichtung ist jedoch auf die Einhaltung der Vorgaben zur Öffnung von Einbahnstraßen gemäß VwV-StVO und den RASt 2006 zu achten. Das betrifft vor allem die Beschilderung an den Knotenpunkten mit dem Zusatzzeichen „Radverkehr aus beiden Richtungen“ (Quelle: UDV 2016).

Gründe für die höhere Sicherheit sind, dass im Gegenverkehr Radfahrende gut wahrgenommen werden und sich an Engstellen die Geschwindigkeit reduziert. Türöffnungsunfälle treten wegen der guten Sichtbarkeit der Radfahrenden seltener auf. Die Radfahrenden weichen nicht auf den Bordstein oder auf Hauptstraßen aus, wo Unfälle mit Fußgängern oder Kfz häufiger sind.

Es besteht in der Regel keine erhöhte Gefahr für Radverkehr in Gegenrichtung. Deshalb soll er freigegeben werden.

Novelle VV StVO 2021

Diese Erkenntnisse sind in die Novelle der VV-StVO 2021 eingeflossen und münden in der Soll-Vorschrift, die das Ermessen im Einzelfall deutlich einschränkt:

VV-StVO Zu § 40 zu Zeichen 220 Ziffer IV: Zu Zeichen 220 Einbahnstraße:

1) Beträgt in Einbahnstraßen die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht mehr als 30 km/h, soll Radverkehr in Gegenrichtung zugelassen werden, wenn

     a) eine ausreichende Begegnungsbreite vorhanden ist, ausgenommen an kurzen Engstellen; bei Linienbusverkehr oder bei stärkerem Verkehr mit Lastkraftwagen muss diese mindestens 3,5 m betragen,
     b) die Verkehrsführung im Streckenverlauf sowie an Kreuzungen und Einmündungen übersichtlich ist,
     c) für den Radverkehr dort, wo es orts- und verkehrsbezogen erforderlich ist, ein Schutzraum angelegt wird.
Bei der Begegnungsbreite im Sinne von Satz 1 Buchstabe a handelt es sich um den unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten tatsächlich beim Begegnen der am Verkehr Teilnehmenden zur Verfügung stehenden Raum.“

Die Stadt Berlin hat einen Prüfleitfaden zur Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung erarbeitet, der konkrete Prüfschritte beinhaltet. Er ist auf folgender der Seite zu den Planungsvorgaben der Stadt herunterlandbar. Dort finden sich auch viele weitere Leitfäden und Hinweise, nicht nur zur Radverkehrsplanung. 

Wie viele ungeöffnete Einbahnstraßen gibt es in meiner Stadt

Wir haben schon oft in Beratungen gesagt bekommen, es wäre schön eine Übersicht über die nicht geöffneten und die geöffneten Einbahnstraßen zu bekommen. Deshalb haben wir eine Abfrage erstellt, die das aus OpenStreetMap herausliest. Wenn eine Einbahnstraße dort als nicht geöffnete angezeigt wird, gibt es zwei Möglichkeiten: a) sie ist nicht geöffnet oder b) die Öffnung ist noch nicht in Openstreetmap eingetragen. Dann bitte nachtragen! 

https://overpass-turbo.eu/s/20Kq

Mit der Lupe in der Karte lässt sich der gesamte abgefragte Bereich darstellen. Unser Beispiel zeigt die ungeöffneten Einbahnstraßen von Meiningen in Thüringen. Durch Anpassen des Bundeslandes und des Ortes im Text der Abfrage und erneute Ausführung ist die Abfrage für ganz Deutschland anwendbar.

Oben rechts gibt es einen Reiter für “Karte” und “Daten”. Wenn auf Daten geklickt und nach ganz unten gescrollt wird, findet sich eine kleine Statistik über die Länge der geöffneten und ungeöffneten Einbahnstraßen und den prozentualen Anteil der geöffneten Einbahnstraßen.

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