
Mit Abstand sicher unterwegs
"Jede gute Beziehung braucht einen gesunden Abstand." - Unter diesem Motto steht eine Kampagne, mit der ADFC Thüringen, AGFK-TH und weitere Partner den Mindestabstand beim Überholen von Radfahrenden mit vielfältigen Aktionen ins Bewusstsein rücken.
Das äußerst unangenehme Gefühl, zu dicht überholt zu werden, kennen wohl die meisten Radfahrenden. Zwar gibt es einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestüberholabstand, doch viel zu oft wird dieser nicht eingehalten. Die Gründe dafür sind vielfältig - sie reichen von Ungeduld und mangelhafter Sensibilität über eine zu Fehlverhalten einladende Infrastruktur und unzureichende Kontrollen bis hin zur Unkenntnis der geltenden Regeln.
Mit einer Kampagne rücken der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Thüringen, die Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen Thüringen (AGFK-TH), der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Elbe - Saale, die Landesverkehrswacht Thüringen und weitere Partner den Überholabstand ins öffentliche Bewusstsein. Vielfältige Aktionen machen die Abstandsregeln sichtbar und regen dazu an, ein Gefühl für das Sicherheitsbedürfnis von Radfahrenden, aber auch Fußgänger:innen und Rollerfahrenden zu gewinnen.
Alle Thüringer Kommunen sind herzlich eingeladen, sich an der Kampagne zu beteiligen, das Thema Überholabstand in den Blick zu nehmen und so thüringenweit für Rücksichtnahme im Straßenverkehr zu werben. Die Kampagnenmaterialien können über die AGFK Thüringen bezogen werden.
Finanziell unterstützt wird die Kampagne durch das Thüringer Ministerium für Digitales und Infrastruktur (TMDI) und die Unfallkasse Thüringen (UKT).
Welcher Mindestabstand gilt beim Überholen von Radfahrenden?
Bis 2020 galt, dass Autofahrende beim Überholen einen „ausreichenden Sicherheitsabstand“ einhalten müssen. Weil diese Angabe nicht eindeutig ist, wurde mit der StVO-Novelle 2020 nachgeschärft. Seitdem gilt ein Mindestüberholabstand von 1,5 m innerorts und 2 m außerorts.
StVO § 5, Abs. 4 (3): “Beim Überholen mit Kraftfahrzeugen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden beträgt der ausreichende Seitenabstand innerorts mindestens 1,5 m und außerorts mindestens 2 m.”
Radfahrende haben ihrerseits einen Abstand von ca. 1 m zu parkenden Autos einzuhalten (sog. Dooring-Zone). In schmalen, ein- oder beidseitig zugeparkten Wohngebietsstraßen können Radfahrende daher nicht überholt werden.
Für mehrspurige Straßen hilft als Eselsbrücke: Mit einem kompletten Spurwechsel beim Überholen ist auch der Kraftfahrzeugführende auf der sicheren Seite.
- Welcher Mindestabstand gilt beim Überholen von radfahrenden Kindern?
Die in der StVO definierten Überholabstände von mindestens 1,5 m innerorts und 2 m außerorts gelten auch beim Überholen von radfahrenden Kindern und von Fahrrädern mit Anhängern. Ein zusätzlicher Sicherheitsabstand sowie eine Temporeduzierung sind aber dringend zu empfehlen.
- Warum sind mindestens 1,5 m bzw. 2 m Überholabstand einzuhalten?
Dass beim Überholen Abstand gehalten werden muss, ist klar – aber warum gilt beim Überholen von Radfahrenden ein Mindestüberholabstand von 1,5 m innerorts und 2 m außerorts?
Die Antwort ist einfach: Aufgrund von Schlaglöchern, Seitenwind oder der natürlichen Pendelbewegung beim Radfahren kann nicht immer eine schmale Ideallinie beim Fahren eingehalten werden. 1,5 m Bewegungsspielraum bieten die Möglichkeit, ein Schlagloch problemlos umfahren oder einen Windstoß auszubalancieren.
Höhere Geschwindigkeiten des überholenden Fahrzeugs bringen zudem Luftverwirbelungen und Sogwirkungen mit sich, die Radfahrende aus dem Gleichgewicht bringen und sie sogar auf die Fahrbahn ziehen können. Daher ist außerorts ein größerer Sicherheitsabstand einzuhalten.
Der Mindesabstand gilt übrigens in gleicher Weise auch beim Überholen von Fußgänger:innen und E-Roller-Fahrenden, kurzum bei Verkehrsteilnehmer:innen, die keine schützende Hülle um sich haben und folglich bei (Überhol-)Unfällen unmittelbar mit Leib und Leben betroffen sind.
- Was gilt bei Schutz- und Radfahrstreifen?
Verkehrsrechtler:innen weisen darauf hin, dass das Gebot des ausreichenden Seitenabstands nur für das Überholen gilt. Zumindest Radfahrende auf Radfahrstreifen würden aber vom Fahrbahnverkehr nicht im rechtlichen Sinne „überholt“.
Tatsächlich meint Überholen im engeren Sinn das Vorbeifahren an anderen Verkehrsteilnehmenden, die sich auf demselben Straßenteil in derselben Richtung bewegen.
- Schutzstreifen gehören zur Fahrbahn, womit das Abstandsgebot des § 5 Abs. 4 S. 2 StVO für das Überholen Radfahrender unmittelbar gilt.
- Radfahrstreifen hingegen sind als Sonderwege für den Radverkehr kein Teil der Fahrbahn. Deshalb gilt § 5 Abs. 4 StVO nicht. Es gelten aber das allgemeine Rücksichtnahmegebot, das schon bis 1975 Grundlage für Mindestabstände von 1,5 bis 2 m war, sowie das Gefährdungsverbot nach § 1 Abs. 2 StVO.
Für den einzuhaltenden Sicherheitsabstand ergibt sich daraus kein Unterschied: Eine Linie auf der Fahrbahn ändert nichts an den physischen und psychischen Folgen eines zu dichten Vorbeifahrens (Sogwirkung, Erschrecken, Verunsicherung). Dabei ist es egal, ob die Linie unterbrochen wie beim Schutzstreifen oder durchgezogen wie beim Radfahrstreifen ist.
- Wo und wie wird der Überholabstand gemessen?
Der Überholabstand von mindestens 1,5 m innerorts und 2 m außerorts muss zwischen dem linken Lenkerende des Fahrrads und dem Seitenspiegelende des überholenden Autos gegeben sein. Grundsätzlich lässt er sich mittels Laser, Ultraschall, Infrarot oder Video bzw. Foto ermitteln. Für die Polizei gibt es hierfür noch keine technische Lösung. Sie kann aber Verstöße zur Anzeige bringen, bei denen der Abstand augenscheinlich nicht eingehalten wurde. Ganz eindeutig ist dies dann der Fall, wenn die Straßenbreite ein Überholen mit ausreichendem Abstand nicht zulässt und trotzdem überholt wird.
Mit Hilfe von OpenBikeSensoren (OBS) können Radfahrende mit einem Sensor am Fahrrad selbst den Abstand bei Überholvorgängen erfassen. Dabei werden keine Fahrzeuginformationen, wohl aber GPS-Daten aufgezeichnet und in einer Heatmap visualisiert. Sie belegen objektiv und transparent, wo und wie häufig zu eng überholt wird. So lassen sich gefährliche Stellen in der Infrastruktur ermitteln und Handlungsbedarfe und Verbesserungspotentiale aufzeigen.
- Was passiert, wenn man den Mindestüberholabstand nicht einhält?
Die Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes stellt ein unnötiges Sicherheitsrisiko dar, das alle am Überholvorgang Beteiligten potentiell in Gefahr bringt und schlimmstenfalls einen Unfall zur Folge hat. Als rechtlicher Verstoß kann dies mit einem Bußgeld und im Gefährdungsfall auch mit einem Punkt im Fahreignungsregister in Flensburg geahndet werden.
Für alle, die es genauer wissen wollen, gibt's hier ein paar Informationen zu den geltenden Regeln zum Überholabstand:
Das OpenBikeSensor-Projekt
Der OpenBikeSensor ist ein Open-Innovation-, Open-Source-, Open-Data- und Open-Science-Projekt, das ehrenamtlich von einer offenen Gruppe entwickelt wird und das darauf zielt, mit Hilfe der Sensoren Schwachstellen in der Infrastruktur zu identifizieren und Lösungen für einen sicheren Radverkehr herbeizuführen. Wer sich daran beteiligen möchte, kann sich einen eigenen OpenBikeSensor bauen und Daten erheben. Hierfür ist es sinnvoll, sich einer der Regio-Initiativen (z.B. im ADFC Thüringen) anzuschließen, um z. B. gemeinsam Bauteile zu bestellen oder gemeinsam zu basteln. Auch für die Weiterentwicklung der Technik und das Bekanntmachen des Projektes werden Unterstützer:innen gesucht.
Die Überholabstandsdaten können in einem Datenpool anonymisiert für die Auswertung und Visualisierung zur Verfügung gestellt werden.
Überall in Deutschland und darüber hinaus bauen und betreiben Wissenschaftler:innen, Initiativen und Gruppen OpenBikeSensoren. Mit den so erhobenen Daten können sie auf Politik und Verwaltung zugehen und Verbesserungen für die Verkehrsplanung und die Infrastruktur anregen.
2022 wurde das OpenBikeSensor-Projekt mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichnet.
Weitere Infos: www.openbikesensor.org.
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